Das Teilprojekt über die Entwicklung der nationalsozialistischen Steuerpolitik von 1933 bis 1945 geht der Frage nach, auf welche Weise die Steuerpolitik vom nationalsozialistischen Regime als Instrument zur Steuerung von Gesellschaft und Wirtschaft eingesetzt wurde und welche Folgen dies für Bevölkerung und Wirtschaft hatte. Die Arbeit basiert dabei auf der Annahme, dass auch die Steuerpolitik im „Dritten Reich“ keinen von reinen Fachleuten betriebenen, ideologiefreien Politikbereich darstellte, sondern dass das Reichsfinanzministerium steuerliche Maßnahmen in vielfältiger Weise zur Verwirklichung nationalsozialistischer Ziele einsetzte.
Direkt nach der Machtergreifung entwickelten sich die Steuereinnahmen zunächst äußerst positiv, was nicht nur auf die durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen verstärkte Konjunkturbelebung, sondern auch aufgrund der ab 1934 vorgenommenen Steuerreformen und Zentralisierung aller staatlichen Steuereinahmen beim Reich zurückzuführen ist. Aufgrund der Rüstungskonjunktur stiegen die Einnahmen des Reiches bereits 1933/1934 deutlich an, doch trotz stark steigender Steuern wuchs die Verschuldung des Reiches bis 1939 erheblich. Auch die im Krieg vorgenommenen Steuererhöhungen reichten nicht annähernd für einen ausgeglichenen Haushalt aus, doch anders als vor 1939 konnte sich das Reichsfinanzministerium nicht mehr gegen den Widerstand anderer Teile des NS-Regimes durchsetzen und die Steuerschraube weiter anziehen. Ursache war der schon vor 1939 schwebende Grundkonflikt in der NS-Finanzpolitik des Regimes, ob man die oberen Einkommensbezieher und Unternehmen oder aber die unteren Einkommensschichten noch stärker besteuern sollte. Neben der Einflussnahme der NS-Spitzen in dieser Frage stehen auch die weiteren steuerpolitischen Entscheidungsprozesse im Ministerium im Fokus der Untersuchung.
Zahlreiche steuerliche Maßnahmen der Ministerialbürokratie gingen dabei auf die Initiativen des Staatssekretärs Fritz Reinhardt zurück, eines überzeugten Nationalsozialisten, der 1933 aufgrund von Hitlers Wünschen ins Amt gelangte und danach bis 1945 mit Reichsfinanzminister Schwerin von Krosigk zusammenarbeitete. Neben dem generellen Interesse des Reichsfiskus an Einnahmesteigerungen und der weltanschaulichen Durchdringung des Steuerrechts durch die NS-Ideologie (§1 Steueranpassungsgesetz vom 16.10.1934: „Die Steuergesetze sind nach nationalsozialistischer Weltanschauung auszulegen.“), zielte die Steuerpolitik Reinhardts auch auf die Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung. Anhand der bereits 1931 erlassenen Reichsfluchtsteuer und ihrer Verschärfungen nach der Machtergreifung sowie anderen diskriminierenden Maßnahmen, wie dem Entzug der Kinderfreibeträge in der Einkommensteuer für jüdische Steuerzahler, wird in der Studie der Frage nachgegangen, inwieweit die Steuerabteilung des Ministeriums nationalsozialistische Ideen als selbstverständliche Leitlinien verinnerlicht hatte. Zudem werden mehrere, vom Reichsfinanzministerium veranlasste, steuerpolitische Einzelmaßnahmen wie die Reaktion der Steuerzahler sowie die Strafverfolgung von Steuerhinterziehungen unter dem Gesichtspunkt der NS-Ideologie fallbeispielartig näher in den Blick genommen.
Unabhängig von den Zielen des Reichsfinanzministeriums bilden auch die ökonomischen Auswirkungen des NS-Steuerrechts ein Thema der Arbeit. Die hohe Steuerbelastung der Unternehmen und Bevölkerung – und hier sowohl der unteren als auch oberen Einkommensbezieher – waren auch unter den damaligen Wirtschafts- und Finanzexperten wenig umstritten, wenngleich ab 1938 heftig darüber gestritten wurde, ob die Wirtschaft und Bevölkerung weitere Steuererhöhungen noch tragen könnte. In dieser Diskussion standen vordergründig sozialpolitische Bedenken Befürchtungen gegenüber, dass höhere Steuern die Leistungsbereitschaft der abhängig Beschäftigten stark vermindern würden. Hinter den sozialpolitischen Argumenten der „Parteilinken“ standen dabei jedoch weniger die Besorgnis zu starker Belastungen unterer Einkommensschichten als bevölkerungspolitische Argumente, da man befürchtete, dass sich zu hohe Steuern auf die Geburtenrate niederschlagen würden. Die Bedeutung der nationalsozialistischen Bevölkerungsideologie zeigte sich dabei auch in den Tarifen des Einkommensteuergesetzes, wurden doch kinderlose Ehepaare und Ledige unabhängig von ihrem Gehalt vom deutschen Fiskus ungleich höher als in anderen Ländern Westeuropas besteuert. Diese Tatsache und die Diskussion über die steuerliche Belastung der deutschen Bevölkerung, der die Studie im Detail nachgeht, macht deutlich, dass der Zusammenhang von Steuerpolitik und Machtsicherung den Zeitgenossen nicht ganz so eindeutig war, wie es Götz Alys Diktum des nationalsozialistischen Regimes als "Wohlfühldiktatur" glauben lässt. Auch deshalb werden diese Ergebnisse und auch die gesamte Steuerpolitik des „Dritten Reiches“ zur besseren Einordnung abschließend mit der Steuerpolitik sowohl der Weimarer Zeit als auch der frühen Bundesrepublik verglichen, um so die NS-Spezifika von langfristigen Entwicklungen, die sich nicht speziell auf nationalsozialistische Einflüsse zurückführen lassen, unterscheiden zu können.