Seite drucken
12.05.2014

Im Zentrum des Teilprojektes „Das Vermögen der 'Reichsfeinde'“ steht die Frage nach der Funktion der Reichsfinanzverwaltung bei der Einziehung des Vermögens von sogenannten „Volks- und Staatsfeinden“ bzw. „Reichsfeinden“ während der nationalsozialistischen Herrschaft. Der Schwerpunkt liegt auf der fiskalischen Verfolgung von innenpolitischen Gegnern, kirchlichen Einrichtungen sowie Sinti und Roma.

Die Einziehung des Vermögens innenpolitischer Gegner, insbesondere der kommunistischen und sozialdemokratischen Partei, erfolgte durch das „Gesetz über die Einziehung kommunistischen Vermögens“ vom 26. Mai 1933 sowie das „Gesetz über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens“ vom 14. Juli 1933. Fragt man nach der Rolle der Reichsfinanzverwaltung bei der Enteignung der politischen Opposition, so ist zunächst augenfällig, dass die Vermögenseinziehung auf der Grundlage der Einziehungsgesetze bis 1941 zu Gunsten der Länder und nicht zu Gunsten des Reichs erfolgte. Dies bedeutet, dass die Länderverwaltungen dafür zuständig waren, das eingezogene Vermögen zu verwalten und zu verwerten. Eine Beteiligung der Reichsfinanzverwaltung war in den Gesetzen und dazugehörigen Durchführungsverordnungen nicht vorgesehen und dennoch war das Reichsfinanzministerium in bestimmten Bereichen involviert. Folgende fünf Mitwirkungsformen lassen sich ausmachen: Es beteiligte sich 1.) bei der Durchsetzung von Steuerforderungen des Reichs gegenüber dem eingezogenen Vermögen, 2.) beim Erlass der Grunderwerbsteuer und der Urkundensteuer bei der Übertragung von  Grundstückseigentum infolge der Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens, 3.) in den Diskussionen rund um die Probleme die sich bei Durchführung der Einziehungsgesetze ergaben, 4.)
im Rahmen der Verhandlungen über ein Entschädigungsgesetz und 5.) engagierte es sich bei der Bereitstellung von Steuerunterlagen der politischen Gegner.

Der Zugriff auf das Vermögen von politischen Gegnern erfolgte auch über die Einziehung des Eigentums ausgebürgerter Emigranten. Bei der Vermögenseinziehung nach dem im Juli 1933 erlassenen „Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit“ war die Involvierung der Reichsfinanzverwaltung eindeutiger als bei der Beraubung durch die Einziehungsgesetze, da diese zugunsten des Reichs erfolgte.
Vermögensbeschlagnahmen und Verfallerklärungen infolge des Ausbürgerungsgesetzes, welches auch die Unterschrift von Reichsfinanzminister Schwerin von Krosigk trug, führte das Berliner Finanzamt Moabit-West im Auftrag des Reichsfinanzministeriums durch.

Bei der fiskalischen Verfolgung der Sinti und Roma stellt sich die Situation anders dar: Als im Mai 1940 die ersten Massendeportationen von Sinti und Roma in die Ghettos und Konzentrationslager im besetzten Polen begannen, gab es keinerlei gesetzliche Grundlage für ihre Enteignung. Erst eineinhalb Jahre später – im November 1941 – erging eine Feststellung des Reichsinnenministeriums, dass die im Mai 1940 deportierten Sinti und Roma „volks- und
 staatsfeindlich“ gewesen seien. Damit wurde es möglich, die bereits seit 1940 beschlagnahmten Vermögenswerte auf der Grundlage der Einziehungsgesetze in Verbindung mit dem „Erlaß des Führers und Reichskanzlers über die Verwertung des eingezogenen Vermögens von Reichsfeinden“ vom 29. Mai 1941 zugunsten des Deutschen Reichs einzuziehen.

Bei der zweiten großen Deportationswelle im März 1943, bei der tausende Sinti und Roma nach Auschwitz deportiert wurden, war die Reichsfinanzverwaltung nun eindeutig für die Verwaltung und Verwertung des eingezogenen Vermögens zuständig. Inzwischen waren Verwaltungsorganisation und Verwaltungspraxis im Zuge der Deportation und Enteignung der jüdischen Bevölkerung perfektioniert worden. Die Verwaltungsstrukturen und das in der fiskalischen Verfolgung von Juden etablierte Know-How standen ab März 1943 auch für die Ausplünderung der Sinti und Roma zur Verfügung. In den Oberfinanzpräsidien waren 1941/42 Vermögensverwertungsstellen eingerichtet worden, die sich ausschließlich mit eingezogenen Vermögenswerten beschäftigten. Und im Reichsfinanzministerium beschäftigte sich ein eigenes Sachgebiet der Abteilung VI für „Personal und Verwaltung“ mit der Verwaltung und Verwertung von eingezogenem sowie verfallenem Vermögen. Die dafür zuständigen Referate 19 und 20, unter den Ministerialräten Maedel und Eylert, wurden in der Forschung als „Judenreferat“ im Reichsfinanzministerium bezeichnet. Die bisherigen Erkenntnisse des Teilprojektes zeigen jedoch, dass eine Charakterisierung des sogenannten „Referats Maedel“ im Reichsfinanzministerium als „Judenreferat“ zu kurz greift. Vielmehr muss dieses Referatv– wenn man in dem Bild bleibt – als
„Reichsfeindereferat“ bezeichnet werden. Denn neben der reichsweiten Zuständigkeit für die Einziehung des Vermögens von Juden war das „Referat Maedel“ auch mit Fragen der Vermögensenteignung aller zu „Reichsfeinden“ ernannten Personen, Gruppen und Organisationen befasst.

Weiterhin kann vorläufig festgehalten werden, dass die Reichsfinanzverwaltung sich im Rahmen der Vermögenseinziehung als ein gut funktionierender, lernfähiger und durchaus ambitionierter Apparat zeigte, der es verstand, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen. Die Finanzbeamten behandelten die Vermögenseinziehung wie einen bürokratischen Verwaltungsvorgang, den es zu optimieren galt. Effektive Lösungen wurden ausgearbeitet und politische Entwicklungen wurden in Verwaltungsmaßnahmen umgesetzt. An den Stellen, wo sich Reibungspunkte mit anderen Behörden ergaben, kam es zwar zu einem teilweisen Effizienzverlust, der jedoch langfristig, zum Leid der Betroffenen, zu einer Radikalisierung der Verfolgung beitrug. Denn die Rivalitäten, Machtkämpfe und Kompetenzrangeleien – beispielsweise zwischen Reichsfinanzverwaltung und Gestapo – befeuerten den Wettlauf um das Vermögen von missliebigen Personen und Organisationen, was die Mobilisierungsfähigkeit und Dynamik des NS-Regimes verdeutlicht. Wie sich die Verwaltungspraxis des Fiskus in Bezug auf die Vermögenseinziehung entwickelte und wie sich die Zusammenarbeit von Reichsfinanzverwaltung und Gestapo zwischen Konflikt und Konsens gestaltete, dies wird in der Studie untersucht.